24.

Hier bin ich wieder. Laura Richie. Während Mary Jane in New York Schmerzen leidet, haben Sie mich im fernen Hollywood wahrscheinlich vergessen. Kein Wunder. Hollywood ist für seine Vergeßlichkeit bekannt. Hier gibt es keinen Stillstand. Entweder ist man auf dem Weg nach oben oder nach unten. Stehenzubleiben kann sich niemand leisten. Wie Haie, die die Meere durchpflügen. Und wie Haie werden alle von Hunger und Angst getrieben. Das bestimmt auch die Beziehung zwischen Agent und Kunden. Die jungen aufsteigenden Sternchen fürchten die Agenten, als seien sie Götter. Denn Agenten können Karrieren schaffen oder zerstören.

Doch die Angst ist eine Straße mit Gegenverkehr. Sind die Sternchen einmal etabliert, haben sie eine gewisse Berühmtheit erreicht, lassen sie mitunter ihren ersten Agenten fallen und wenden sich einflussreicheren zu. Agenten leben also ständig in der Angst, fallengelassen zu werden.

Lila glaubte die Angst in Ara Sagarians Vorzimmer riechen zu können und hoffte, daß nicht sie diesen Geruch verbreitete. In dem Zimmer saßen noch sechs weitere junge Frauen, eine schöner als die andere, alle mit ihren Unterlagen in der Hand. Nur Verlierer läßt man warten. Lila haßte es. Doch sie ging davon aus, daß keines dieser Mädchen eine Verabredung mit Ara hatte. Sie vermutete, daß das eher die Spreu der Industrie war, die regelmäßig die Runde bei den Agenten machte, in der Hoffnung, ein 5-Minuten-Gespräch zu bekommen, das vielleicht eine Rolle einbrachte. Noch verwegener war die Hoffnung, von dem Agenten unter Vertrag genommen zu werden.

In Hollywood ist ein Schauspieler ohne einen Agenten chancenlos.

»Miss Kyle?« rief die Sekretärin. Alle drehten sich zu Lila um. »Mr. Sagarian ist jetzt frei. Folgen Sie mir bitte.«

Lila lächelte. Sie hatte die Sonderbehandlung erwartet.

Doch sie war nervös. Sie sagte sich zwar, daß Ara Sagarian nicht mehr der Gigant von ehedem war. Die alten Stars hatten sich längst zurückgezogen oder lebten nicht mehr. Ara brauchte frisches Blut, wenn auch keines von den jungen Küken ohne Format, die im Vorraum auf ihn warteten. Er brauchte eine Madonna, einen Tom Cruise — eine Lila Kyle!

»Kommen Sie herein!« rief Are ihr entgegen.

Lila hatte ihn das letzte Mal vor fünf oder gar zehn Jahren gesehen. Niemand hatte sie auf den Tattergreis vorbereitet, der ihr jetzt entgegenhinkte. Der große, imposante Ara Sagarian ging nun gebückt. Ein geschrumpftes Männlein. Der linke Arm hing schlaff am Körper herunter. Ara zog das linke Bein nach. Die linke Seite seines Mundes war teilweise gelähmt. Die Begrüßung blieb teilweise unverständlich.

»Mr. Sagarian, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie Zeit für mich haben. Ich weiß, wie vielbeschäftigt Sie sind.«

Ara schüttelte die ausgestreckte Hand. Dann tupfte er mit einem weißen Taschentuch den Speichel aus dem Mundwinkel. Sein bleistiftdünner Schnurrbart war auch feucht. »Ich bitte Sie, meine Liebe, ich freue mich doch, Sie zu sehen. Das letzte Mal müssen Sie etwa sieben oder acht Jahre alt gewesen sein. Sie traten mit Ihrer Mutter und den Puppen in Ihrem Haus bei einer Party auf. Sie haben sich mächtig herausgemacht. Setzen Sie sich doch.« Er wies auf eine Couch und setzte sich neben sie. »Wie geht es Ihrer reizenden Mutter?«

»Sehr gut, Mr. Sagarian. Sie läßt Sie herzlich grüßen. Sie ist Ihnen dankbar, daß Sie sich die Zeit nehmen, mit mir über meine Karriere zu sprechen. Wie Mutter sagt: Wenn du Mr. Sagarian nicht überreden kannst, dich zu vertreten, bist du auch nicht im Showgeschäft.«

»Bei welcher Karriere soll ich Ihnen denn helfen?« Er tupfte sich wieder den Speichel ab.

»Ich bin Schauspielerin. Mutter sagt, ich sei ein Naturtalent. Sie versucht seit Jahren, mich für das Showgeschäft zu begeistern. Nun habe ich nachgegeben.« Lila strahlte Ara an.

»Was genau hatten Sie gedacht, daß ich für Sie tun soll, meine Liebe?«

Lilas Zuversicht bröckelte ab. Trotz seines Schlaganfalls, trotz seines hohen Alters ging ungeheuer viel Selbstsicherheit von diesem Mann aus. Er besaß eine wahrhaft königliche Würde. Und jetzt verlangte er von ihr, sich nicht nur auf Andeutungen zu beschränken. Spielte er mit ihr?

»Ich dachte... ich möchte Sie bitten, mich zu vertreten. Vielleicht erst für Fernsehrollen. An sich bin ich eher am Film interessiert.«

Ara runzelte die Stirn. »Tut mir leid, daß Sie Ihre Zeit vergeudet haben, Lila. Ich nehme keine neuen Talente mehr an. Das hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun. Ich habe das seit Jahren nicht mehr gemacht. Wenn ich gewußt hätte, daß das der Grund Ihres Kommens ist, hätte ich Ihnen den Weg erspart. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, indem ich Sie an einen anderen Agenten vermittle.«

Lila geriet fast in Panik. Sie wollte an keinen Möchtegernagenten vermittelt werden. Sie versuchte es mit Schmeichelei: »Ich will nur Sie, Mr. Sagarian. Mutter hat immer behauptet, Sie besäßen mehr Verständnis für künstlerisches Temperament als jeder andere, mehr als ein Produzent. Meine Mutter hat mich auf meine Karriere vorbereitet, bevor ich mich dazu entschlossen habe.«

»Ihre Mutter steht also voll hinter Ihnen?« fragte Ara ernst. »Sie ist von Ihrem Talent und Ihrem Durchhaltevermögen in diesem Beruf überzeugt? Seltsam. Daran erinnere ich mich nicht. Doch mein Gedächtnis ist auch nicht mehr optimal. Wissen Sie, ich respektiere Theresas Meinung. Früher entdeckte sie Talente mit traumwandlerischer Sicherheit. Ihr verdanke ich es, daß ich manchen späteren Star unter Vertrag nehmen konnte. Über Theresa habe ich Marilyn kennengelernt und James Dean. Wenn Theresa findet, daß Sie das Zeug zu einem Star haben, will ich meine Meinung überdenken. Zwar unterstelle ich, daß ihr Urteil durch ihre mütterlichen Gefühle gefärbt sein konnte. Doch sie ist kein Dummkopf. Ich bin alt und habe mich in letzter Zeit nicht mehr wohlgefühlt. Darum will ich mich ganz aus dem Geschäft zurückziehen. Aber vielleicht könnte ich doch noch einmal...«

Lila begann sich zu entspannen. Der Alte schien auf ihre Lügen hereinzufallen. Und wenn er sie nur ein einziges Mal zu Aufnahmen schickte, wußte sie, daß sie gewonnen hatte. Lächelnd bestätigte sie: »Meine Mutter steht hundertfünfzig Prozent hinter mir. Wir haben stundenlang über die Vor-und Nachteile diskutiert, und sie hat mir klargemacht, auf was ich mich einlasse.«

»Dann entschuldigen Sie mich kurz. Ich muß mal telefonieren.« Ara griff nach dem Telefonhörer.

Lilas Herz klopfte zum zerspringen. So einfach war es also. Wen mochte er anrufen? Coppola? Sherry Lansing? Barry Levinson?

Dann hörte sie ihn sprechen: »Guten Morgen, Estrella. Hier spricht Ara Sagarian. Kann ich mit Miss O'Donnell sprechen?« Er lächelte Lila spitz an.

Lila atmete flach. Verdammter Mist!

»Theresa, meine Liebe! Wie geht es Ihnen? Seit meinem lästigen Krankenhausaufenthalt haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich möchte Ihnen noch einmal danken, daß Sie mich besucht haben. Nein, nein. Überhaupt nicht. Raten Sie mal, wer mir in diesem Augenblick, dank Ihrer Vermittlung, gegenübersitzt!« Ara lauschte einen Augenblick. Dann fuhr er fort. »Nein. Lila, Ihre Tochter. Danke, daß Sie sie mir geschickt haben, meine Liebe. Ich kann ihr wahrscheinlich helfen. «

Lila beobachtete Ara genau. Seine Miene verzog sich, wurde ernst, undurchdringlich. Theresa hatte viel zu sagen. Und Lila schoß das Blut ins Gesicht. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Was um Himmels willen brockte ihr die Puppenmutter da ein? Es war ein Fehler gewesen, auf Robbies Rat zu hören.

»Tut mir leid, daß ich Sie belästigt habe, meine Liebe. Offensichtlich habe ich da etwas mißverstanden. Wir sehen uns sicher bei der Emmy-Verleihung, nicht wahr?« Er machte eine Pause, nickte. »Gut. Ohne Sie hat die Party auch keinen Glanz.«

Ara legte auf und erhob sich. Er hinkte zu seinem Schreibtisch, fischte aus der obersten Schublade ein Röhrchen und nahm einen Tablette mit einem Schluck Wasser. Dann erst wandte er sich wieder Lila zu.

»Sie hätten eigentlich wissen müssen, Miss Kyle, daß ich nicht von gestern bin. Sie hätten mich beinahe ins Messer laufen lassen. Ihre Mutter hat Sie also nicht zu mir geschickt, und sie ist obendrein entschieden gegen Ihre Berufswahl. Sie glaubt auch, daß Sie gefühlsbedingte Probleme haben, die ein Leben in der Öffentlichkeit ausschließen. Außerdem weiß sie, daß Sie keine Spur Talent und keine Erfahrung haben. Darum hat sie Sie gebeten, aufs College zu gehen und sich einen anderen Beruf auszusuchen. Doch das alles stört mich nicht so sehr wie die Tatsache, daß Sie mich angelogen haben.«

»Mr. Sagarian, lassen Sie mich das bitte erklären«, flehte Lila verzweifelt.

»Dazu besteht kein Anlaß. Ich sehe bereits klar und werde Ihnen aus zwei Gründen nicht helfen. Einmal haben Sie eine sehr alte und für mich gewinnbringende Beziehung mit meinem größten Star gefährdet. Und zweitens haben Sie mich unterschätzt.«

Ara zog wieder sein Taschentuch aus der Hosentasche, da der Speichelfluss stärker wurde. »Aus diesen Gründen müssen Sie noch von Glück sagen, Miss Kyle, wenn ich Sie nicht aus meinem Büro werfe und Ihnen ein für alle Mal Ihre Zukunft zerstöre.« Er drückte auf einen Knopf. »Miss Bradley, bringen Sie Miss Kyle bitte zum Fahrstuhl. Wir sind fertig.«

Ara Sagarian griff nach dem Telefonhörer. Lila schenkte er keinen Blick mehr.

In der Fahrstuhlkabine begann Lila Kyle zu weinen.

Die schoenen Hyaenen
part 0001.html
part 0002.html
part 0003.html
part 0004.html
part 0005.html
part 0006.html
part 0007.html
part 0008.html
part 0009.html
part 00010.html
part 00011.html
part 00012.html
part 00013.html
part 00014.html
part 00015.html
part 00016.html
part 00017.html
part 00018.html
part 00019.html
part 00020.html
part 00021.html
part 00022.html
part 00023.html
part 00024.html
part 00025.html
part 00026.html
part 00027.html
part 00028.html
part 00029.html
part 00030.html
part 00031.html
part 00032.html
part 00033.html
part 00034.html
part 00035.html
part 00036.html
part 00037.html
part 00038.html
part 00039.html
part 00040.html
part 00041.html
part 00042.html
part 00043.html
part 00044.html
part 00045.html
part 00046.html
part 00047.html
part 00048.html
part 00049.html
part 00050.html
part 00051.html
part 00052.html
part 00053.html
part 00054.html
part 00055.html
part 00056.html
part 00057.html
part 00058.html
part 00059.html
part 00060.html
part 00061.html
part 00062.html
part 00063.html
part 00064.html
part 00065.html
part 00066.html
part 00067.html
part 00068.html
part 00069.html
part 00070.html
part 00071.html
part 00072.html
part 00073.html
part 00074.html
part 00075.html
part 00076.html
part 00077.html
part 00078.html
part 00079.html
part 00080.html
part 00081.html
part 00082.html
part 00083.html
part 00084.html
part 00085.html
part 00086.html
part 00087.html
part 00088.html
part 00089.html
part 00090.html
part 00091.html
part 00092.html
part 00093.html
part 00094.html
part 00095.html
part 00096.html
part 00097.html
part 00098.html
part 00099.html
part 000100.html
part 000101.html
part 000102.html
part 000103.html
part 000104.html
part 000105.html
part 000106.html
part 000107.html
part 000108.html
part 000109.html
part 000110.html
part 000111.html
part 000112.html
part 000113.html
part 000114.html
part 000115.html
part 000116.html
part 000117.html
part 000118.html
part 000119.html
part 000200.html
part 000201.html
part 000202.html
part 000203.html
part 000204.html
part 000205.html
part 000206.html
part 000207.html
part 000208.html
part 000209.html
part 000210.html
part 000211.html
part 000212.html
part 000213.html
part 000214.html
part 000215.html
part 000216.html
part 000217.html
part 000218.html
part 000219.html
part 000220.html
part 000221.html
part 000222.html